«Viele Junge haben unrealistische Wünsche»

von Marco Lüssi - 10 Prozent der 15- bis 24-Jährigen in der Schweiz sind arbeitslos. Berufsbildungs-Fachfrau Nicole Bussmann erklärt im Interview, woran Junge bei der Jobsuche scheitern.

 

Frau Bussmann, bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist jeder Zehnte ohne Job. Wie erklären Sie diese hohe Zahl?
Nicole Bussmann:
Bei den Lehrabgängern haben es vor allem die KV-Absolventen schwer. Viele stehen nach dem Lehrabschluss auf der Strasse, weil für eine Anstellung mehrjährige Berufserfahrung gefordert wird. Und anders als Lehrstellensuchende haben die Betroffenen oft niemanden, der ihnen hilft. Um trotz des Mangels an offenen KV-Stellen etwas zu finden, müssen sie sich sehr gut verkaufen. Das gelingt vielen nur mit professioneller Hilfe.

 

Und wo hapert es bei den Jugendlichen, die keine Lehrstelle finden?
Grundsätzlich gibt es in der Schweiz genügend offene Lehrstellen. Das Problem ist nur, dass es sich nicht um jene Ausbildungsplätze handelt, die sich die Jungen wünschen. Und die Jugendlichen von heute sind sich gewohnt, dass ihre Wünsche erfüllt werden. Sie halten deshalb oft auch dann an ihren Träumen fest, wenn sie völlig unrealistisch sind.

 

Heisst das, die Jugendlichen sind selbst schuld, wenn sie keinen Job finden?
Nein, denn es ist natürlich die Aufgabe ihres Umfelds, sie darauf aufmerksam zu machen, dass sie Träumen nachhängen, die sich nicht verwirklichen lassen. Diese Aufgabe nehmen Lehrer und Eltern aber nicht immer wahr. Besonders gut zeigt sich dies bei den Sek-C-Schülern, die es generell bei der Lehrstellensuche nicht einfach haben. Hier ist auffällig, dass von der Palette der 30 bis 40 Attestausbildungen, die für solche Jugendliche angeboten werden, immer nur die vier, fünf gleichen gefragt sind – jene, mit denen die Jungen ein gewisses Prestige verbinden.

 

Welche Berufe sind dies?
Bei den jungen Frauen mit Sek-C-Abschluss sind dies beispielsweise Jobs im Detailhandel – aber vor allem solche im Lifestyle-Bereich. Sie wollen Kleider, Schuhe, Sportartikel oder Elektronik verkaufen. Fleischverkäuferinnen dagegen werden immer gesucht – aber niemand will sich dazu ausbilden lassen. Generell wollen Sek-C-Schüler Jobs, bei denen sie sich die Hände nicht schmutzig machen müssen und in denen sie keine unregelmässigen Arbeitszeiten haben. Ausnahmen gibt es nur, wenn solche Jobs dennoch Prestige versprechen.

 

Zum Beispiel?
Junge Männer machen sich die Hände gern schmutzig, wenn der Schmutz von einem Auto stammt. Ausbildungen als Automobilassistent oder Reifenpraktiker sind daher gefragt. Bei Frauen ist die Ausbildung zur Assistentin Gesundheit und Soziales beliebt – die unregelmässigen Arbeitszeiten nehmen sie in Kauf, weil der weisse Kittel, den sie in diesem Job tragen, ein gewisses Prestige verspricht. Generell fällt bei den Sek-C-Schülern auf, dass sie sich traditionell verhalten: Frauen bevorzugen «Frauenberufe», Männer nur «Männerberufe». Dabei hätten Männer in einem «Frauenjob» im Pflegebereich gute Chancen. Diese nutzen sie aber nicht.

 

Bei 20 Minuten haben sich Jugendliche gemeldet, die 200 bis 300 Bewerbungen geschrieben haben und noch immer arbeitslos sind. Wie ist dies möglich?
Wenn dies der Fall ist, dann stimmt etwas mit der Form der Bewerbung nicht. Dann handelte es sich wohl um einen lieblosen Massenversand. Dabei ist weniger mehr: Lieber nur 30 Bewerbungen, dann aber solche mit einem überzeugenden Dossier und einem massgeschneiderten Motivationsschreiben. Dieses muss man für jede einzelne Bewerbung individuell schreiben. Leider haben aber auch viele Berufsberater zu wenig praktische Wirtschaftserfahrung – und lassen deshalb ungeeignete Bewerbungen durchgehen.

 

Viele ausländische Jugendliche sagen, sie hätten wegen ihres fremdländischen Namens Mühe, eine Stelle zu finden.
Es mag sein, dass Jugendliche diesen Eindruck haben, aber gemäss meiner Erfahrung trifft dies nicht zu. Firmen sind in dieser Hinsicht sehr offen, beispielsweise auch für Jugendliche aus Afrika oder Ostländern. Dass jemand wegen seiner Herkunft abgelehnt wird, kommt nur vor, wenn eine Firma auf einen gewissen Mitarbeitermix achtet, beispielsweise, wenn sie von einer gewissen Ausländergruppe bereits sehr viele Personen angestellt hat.

 

Tut die Wirtschaft genug dafür, Jungen den Berufseinstieg zu ermöglichen?
Ich glaube schon. Die KMU und Grossfirmen, mit denen wir zusammenarbeiten, erlebe ich als sehr offen. Dieselbe Offenheit und Ehrlichkeit müssen aber auch die Jungen aufbringen. Die Firmenverantwortlichen spüren es, wenn sich jemand nur bei ihnen bewirbt, weil er eben Bewerbungen schreiben muss.

 

Was raten Sie einem Jungen, der verzweifelt eine Stelle sucht?
Gerade wer nicht mit Bestnoten auftrumpfen kann, kann mit Engagement und Herzblut überzeugen. Es stimmt, es braucht viel, um nur schon an ein Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Doch wer wirklich will und dabei auch die Schlüsselkompetenzen wie zum Beispiel Freundlichkeit und Pünktlichkeit befolgt, wird etwas finden. Kurzfristig muss man sich dafür vielleicht von seinem Traumberuf verabschieden, doch nicht für immer – unser Bildungssystem erlaubt es, dass man sich seine Wünsche mittel- oder längerfristig doch noch erfüllen kann. Man benötigt dazu einen Plan B und eine gesunde Portion Durchhaltewillen.

 

http://www.20min.ch/schweiz/news/story/-Viele-Junge-haben-unrealistische-Wuensche--17556247